Chorchronik

Im Frühjahr 1906 fanden sich, angespornt durch Posaunenchorgründungen und schon längere Zeit bestehende Chöre in lippischen Nachbargemeinden, auch in Talle junge Männer zusammen, um einen eigenen Posaunenchor der Kirchengemeinde Talle zu gründen.

Der Initiator und erste Dirigent war der damalige Gemeindepfarrer Heinrich Blome.

Anfangs bestand der Chor aus 6 Bläsern, die fleißig übten, so dass schon an Weihnachten 1906 gespielt wurde.

Als der erste einstudierte Choral "Nun danket alle Gott" in der Taller Peterskirche erklang, war das Echo in der Gemeinde sehr positiv, was in einer Zeit ohne Rundfunk und Fernsehen ja auch nicht verwunderlich war.

In der Folgezeit gesellten sich viele neue Mitglieder zu der kleinen Gruppe und so zeigt das älteste erhaltene Chorfoto aus dem Jahre 1909 schon 17 Bläser.

Den ersten Einschnitt in diese Gemeinschaft brachte der erste Weltkrieg. Viele wurden eingezogen. Nicht alle erlebten das Kriegsende und die Rückkehr in die Heimat.

Die Lücken, die der Krieg geschlagen hatte, schlossen sich erst nach Jahren wieder. Die Chorleitung wechselte in die Hände von Heinrich Stockhus aus Kirchheide, eines der Gründungsmitglieder des Chores.

Die Bläser kamen aber nicht nur aus Talle. Auch in Bavenhausen, Kirchheide und den anderen zur Kirchengemeinde Talle gehörenden Orten fanden sich Männer, die zum Lobe Gottes musizierten.

Alle Wege zu den allwöchentlichen Übungsabenden wurden, ob Sommer oder Winter, auf Schusters Rappen oder, soweit man eins besaß, mit dem Fahrrad zurückgelegt.

Um die Belastung der allwöchentlichen Wanderschaft zu verteilen, fanden die Übungsabende von 1920 - 1938 abwechselnd in Talle und in Welstorf auf Süwald´s Hof statt.

So traf man sich nach hartem Arbeitstag und wanderte gemeinsam nach Welstorf bzw. Talle. Nachzügler gaben mit ihrem Instrument Signal, das von den vorausgegangenen Freunden erwidert wurde.

Ein weiteres Beispiel für die Freude und Begeisterung mit der man bei der Sache war:

Wenn Instrumente reparaturbedürftig wurden, so wurde selbst die Tuba mit dem Fahrrad nach Bethel in Bielefeld zur Reparatur gebracht und wieder abgeholt.

Höhepunkte des Chorlebens in den 30er Jahren waren Besuche von Pastor Johannes Kuhlo in Talle, dem landesweit bekannten "Posaunengeneral", wie man ihn liebevoll nannte.

Als Werner Blome jun., der Sohn des ehemaligen Gründers des Chores, als junger Pastor nach Talle berufen wurde, wechselte die Chorleitung in seine Hände. Als er 1938 in eine neue Pfarrstelle nach Bösingfeld berufen wurde, kam der Vikar Carl Hundertmark "auf Zeit" nach Talle, um die verwaiste Pfarrstelle zu verwalten. Diese Übergangslösung sollte dann 41 Dienstjahre dauern. Da Pastor Hundertmark des Blasens und Dirigierens unkundig war, musste man sich neu aus eigenen Reihen behelfen.

Die Einsätze und Korrekturen in den Übungsstunden und beim Blasen gaben Simon Pohl und Gustav Arning - natürlich "kürte" man platt. So ließ sich auch Kritik deutlich aber freundlich an den Mann bringen.

Doch schon bald brachte der 2. Weltkrieg diese Gruppe auseinander.

Wieder wurden viele eingezogen. Aber die Posaunenarbeit ging auch während des Krieges ohne Unterbrechung weiter - wenn auch mit stark verminderten Kräften.

An den kirchlichen Festtagen, am Erntedankfest und auf den Hoferntedank-festen wurde stets geblasen.

Der Kontakt zu den an den verschiedensten Fronten dieses unseligen Krieges eingesetzten Freunden riss nicht ab.

Viele Briefe gingen aus der Heimat an die Posaunenbrüder um ihnen mit Psalmen, Choral- und Volksliedertexten etwas Licht in ihren grausamen Alltag zu bringen. Doch mit vielen von ihnen gab es kein Wiedersehen !

Ein Bläser kam schwer verwundet zurück und hat mit bewundernswerter Geduld die Handhabung des Hornes mit einem Arm gemeistert.

In der Nachkriegszeit gab es rasch einen neuen Aufschwung, der Chor erlebte einen regen Zustrom an jungen Bläsern.

Ein Dirigent war nötig, sollte die Klangfülle der verschiedenen Stimmen in Harmonie erklingen. Für die Aufgabe wurde der musikalische Fritz Krumme aus Westorf gewonnen. Eine Reihe von Jahren hat er diese Aufgabe vorzüglich gemeistert. Dann zwang ihn eine zunehmende Sehschwäche, den Taktstock aus der Hand zu legen.

An seine Stelle trat der Schulleiter und Organist der Gemeinde, Herr Heinrich Krüger.

Er führte den Chor viele Jahre in straffer Leitung. In dieser Epoche wurde das 50-jährige Jubiläum 1956 als Lippisches Posaunenfest gefeiert.

130 Bläser musizierten damals unter der Leitung von Pastor Otto Mengedoth und brachten festliche Posaunenmusik zu Gehör.

Als Heinrich Krüger 1958 seinen Dirigentenposten niederlegte, kam sein Nachfolger aus den Reihen der Bläser. Begabt mit einem glänzenden Gehör, hat Fritz Arning aus Talle den Chor viele Jahre geleitet. Er kam aus einer weit verzweigten aktiven Bläserfamilie. Sein Onkel, Friedrich Arning, gehörte zu den Gründungsvätern des Chores.

Als Fritz Arning sein Amt niederlegte, wurde ein früheres aktives Chormitglied als Dirigent gewonnen. Karl-Dieter Klein führte den Chor bis 1975 und erweiterte das Repertoire des Chores. Für ältere Bläser war das oft ein harter Einschnitt, aber mit Geduld und Verständnis auf beiden Seiten entstand kein schmerzlicher Riss.

Ende der 60er Jahre verminderte sich die Chorstärke durch Ausscheiden einiger verdienter Bläser aus Altersgründen stark, was jedoch durch verstärkte Jugendarbeit bald wieder aufgefangen wurde. Abwanderungen zu den in den 60er und 70er Jahren sich bildenden Spielmannszügen erfolgten nicht. Oft setzte nur das Alter oder der Tod die Grenze der aktiven Bläsertätigkeit.

Der Nachwuchs des Chores kommt häufig aus alten Bläserfamilien, die zum Teil schon in der 5. Generation dem Chor angehören.

Was zur Zeit der Gründerväter ein schier undenkbares Phänomen war, hat sich dann auch im Taller Chor ereignet: Wir haben seit 1968 auch weibliche Mitglieder.

Weil Chorleiter Karl-Dieter Klein aus beruflichen Gründen den Wohnort wechseln musste, übernahm 1975 mit Werner Prüßner wieder ein junger Bläser aus den Reihen des Chores die Leitung und hat diese bis heute ehrenamtlich inne.

In den Folgejahren mussten immer wieder viele Bläser den Chor aus beruflichen Gründen verlassen, was bis heute eine permanente Nachwuchsarbeit erfordert. Unter Aufbringung von viel Zeit und Geduld durch Chormitglieder wurden viele junge Menschen ehrenamtlich ausgebildet. Zur Zeit zählt der Chor 22 Bläserinnen und Bläser.

Dieser Rückblick auf die Chorgeschichte bliebe jedoch farblos, wenn die zahlreichen Ausflüge, Zeltlager und Wanderungen des Chores unerwähnt blieben.

Bis in die 60er Jahre hinein unternahm der Chor im Frühjahr und Sommer an so manchem Sonntagmorgen einen Frühspaziergang in die herrliche Umgebung von Talle.

Noch schlaftrunken hörten dann die Einwohner von Talle vom Rießen herab, vom Steinhaufen oder den Röntorfer Bergen schöne Melodien zu Ehren des Schöpfers und zur Erbauung der Menschen.

Die Zeiten haben sich gewandelt, die Fensterscheiben wurden dicker und die Rahmen schallgedämmt. Wandern zählt nicht mehr zu den Hauptbeschäftigungen des Chores.

Vieles ist leichter geworden, denken wir nur an die Mobilität, die weite Wanderungen zu Übungsabenden erspart. Moderne Kommunikationsmittel werden eingesetzt, von denen die Gründerväter wohl nicht zu träumen gewagt hätten. Heute wird per E-Mail über Übungsabende, Gottesdienste oder sonstige Einsätze informiert !

Spielte man in den Anfangsjahren aus 4 kleinen Posaunenbüchern, steht heute ein fast unüberschaubares Angebot an Notenmaterial zu verschiedensten Musikrichtungen von Klassik über Spirituals bis hin zu Popmusik zur Verfügung. Darüber hinaus sind schon Dutzende selbst eingerichtete Bläsersätze sind am PC per Notensatzprogramm für den Taller Chor entstanden.

Bei all den Möglichkeiten und der Vielfalt hat sich die Grundausrichtung des Chores bis heute jedoch nicht geändert. Wir machen Musik zur Ehre Gottes und zur Freude der Menschen. Da sich der Chor als Teil der Dorfgemeinschaft versteht, musizieren die Bläser nicht nur bei kirchlichen Anlässen und die anderen Vereine des Dorfes nehmen gerne das musikalische Angebot des Chores zur Untermalung ihrer eigenen Veranstaltungen an. Wohl wenige Vereine und Musikgruppen sind, wie die Posaunenchöre, bis heute bereit, stets ohne finanzielle Gegenleistung aufzutreten.

In den letzten Jahren haben sich neue Traditionen gebildet. Seit 1980 besteht eine Chorpartnerschaft mit dem Posaunenchor aus Perleberg in der ehemaligen DDR. Damals (1980) eine viel beachtete Sensation, die den Taller Bläsern lange Grenzaufenthalte und Scherereien, den Perleberger Freunden immer wieder Probleme mit Staatsmacht und Stasi bereitete. Ohne Überheblichkeit und Pathos kann man behaupten, dass ohne solche Kontakte die deutsch-deutsche Fremdheit sicher weiter vertieft worden wäre und die Mauer vielleicht nicht so schnell bröckelig geworden wäre. Aus der Patenschaft von damals ist längst eine Partnerschaft geworden. Anders als viele andere kurzlebige Kontakte, die in der Wendezeit der DDR über die ehemalige Grenze hinweg entstanden, gibt es hier eine Verbindung, die auf Grund von gemeinsamem Auftrag und gemeinsamem Denken Bestand hat. Seit 1990 hat sich eine weitere Initiative entwickelt, die mittlerweile zu einem festen Bestandteil der Chorarbeit geworden ist: der Chor fährt jedes Jahr zu einem intensiven Probenwochenende auf das Wasserschloss Oberwerries bei Hamm, meist unterstützt vom Lippischen Landesposaunenwart, zunächst Heiner Rose, jetzt Christian Kornmaul. Die Perleberger Freunde sind selbstverständlich fast immer dabei.

Eigentlich ist es ja ein Wunder, dass es dem Chor in Zeiten von CD, TV, PC, MP3, Gameboy, Spielekonsole und sonstigen Zerstreuungsmöglichkeiten immer wieder gelingt, neue Mitglieder zu gewinnen, die bereit sind, ohne jegliche Bezahlung jährlich über 200 Stunden Freizeit zu investieren.

Überhaupt: Welcher Verein kann schon von sich behaupten, aktive Mitglieder zwischen 10 und 68 Jahren zu haben, die gemeinsam in einer Gruppe aktiv sind.